Gérard Leitz, seit wann schlägt Dein Herz für Kinder?
(Lacht) Das ist eine lange Geschichte. Ich bin seit den frühen 1980er Jahren Erzieher. Meine erste Stelle war auf einer Biofarm in Italien mit Menschen mit Behinderung. Die Begleitung dieser jungen Erwachsenen hat mich in meiner inklusiven Haltung sehr geprägt: Alle Menschen sind Teil dieser Gesellschaft und gleichberechtigt. Das wird bis heute dort genauso gelebt.
Seit Anfang des Jahres arbeitest du hier im Miniclub für Kinder und Familien. Was reizt Dich an dieser Aufgabe?
Die Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen, zu sehen, wo ihre Ressourcen liegen und diese zu stärken. Ich berate auch gern die Familien, damit sie dazu beitragen können, dass die Kinder ihren Weg finden. Eltern haben oft die Vorstellung, dass ihr Kind später studieren muss. Dazu ist nicht jede*r geboren. Ich z.B. bin kein Mathematiker, aber leidenschaftlicher Pädagoge, Musiker, Geschichtenerzähler. Familien kann man dabei unterstützen zu erkennen, wo die Stärken ihrer Kinder liegen, um ihnen ihren Weg zu ebnen.
Die Stelle bei SozDia kam Dir da gelegen. Warum?
Ich habe dieses wunderschöne Gelände gesehen, die tollen Räumlichkeiten, ein eigenes Gebäude in Kooperation mit zwei sehr unterschiedlichen Schulen: der katholischen Grundschule Mauritius und der evangelischen Hedwigschule mit ihrem sehr schönen Konzept, das ich mitgestalten darf. Hier fühle ich mich wohl. Mein Team und ich können die Räumlichkeiten so einrichten, wie es sich für eine ergänzende Förderung und Betreuung (EFöB) am besten eignet. Ich nehme den Begriff EFöB, der viel besser als das veraltete Wort "Hort" passt, sehr ernst.
Was meinst du damit?
Wir arbeiten ergänzend zum Unterricht. Wir verstehen uns als Bildungseinrichtung, die die Impulse der Schulen aufgreift und den Kindern Möglichkeiten bietet, Unterrichtsinhalte zu vertiefen. Beide Schulen sind sehr klein, verfügen nicht über Spezialräume. Diese bieten wir. Es gibt ein Atelier, ein Forscher*innenlabor, Lernräume, einen Snoezelenraum, ein Theaterraum, ein Bauwagen, Turnhalle, Lego- und Leseinseln, aber auch ein sagenhaftes Außengelände, das keine Wünsche offen lässt.
Trotzdem ist die Konstellation ja ungewöhnlich: Unter dem Dach der Kita ist auch eine Einrichtung für ergänzende Förderung und Betreuung. Ist das zufällig so, weil die Räumlichkeiten da waren?
Nein, nein! Es wurde als Familienhaus geplant. Die Kinder aus der Kita können in den Miniclub wechseln, wenn sie auf eine der beiden Schulen gehen, die von unserem Team in Kooperation begleitet werden. Und am Vormittag kann die Kita die Räumlichkeiten des Miniclubs nutzen. Denn wir sind ja erst ab mittags hier. Ich arbeite daran, dass dieses Haus auch wirklich ein Familienhaus wird. Das führt durchaus auch mal zu Konflikten, für die wir aber immer konstruktive Lösungen finden.
Worin besteht die Chance eines solchen Hauses?
Unser pädagogisches Konzept beruht auf ergänzender Förderung und Betreuung, nach dem Berliner Bildungsprogram. Wir legen großen Wert auf Erziehungspartnerschaften, d.h. die Familien werden viel in die Entwicklung ihrer Kinder miteinbezogen. Ich informiere die Familien und Kinder regelmäßig per Mail, wir machen Aushänge und ich beantworte jede Mail persönlich. Die Familien können Zeit mit uns verbringen und unsere Tür steht immer offen. Die Resonanz ist fast durchweg positiv und die Kinder freuen sich über ?den frischen Wind?, der seit Januar weht. Das merkt man auch daran, dass fast alle Viertklässler*innen im Miniclub bleiben, "weil der jetzt richtig cool ist". Das war noch im letzten Jahr anders. Viele entscheiden sich für unsere bunten, großzügigen Räumlichkeiten, das vielfältige Angebot. Das ist schon etwas Besonderes.
Wie viele Plätze habt ihr?
Es gibt zurzeit knapp 70 angemeldete Kinder. Die Plätze wurden jetzt auf 85 erhöht, damit wir für beide Schulen sichere EFöB-Plätze gewährleisten können.
Du arbeitest vom Situationsansatz her. Was heißt das?
Dass wir auf die Ressourcen der Kinder achten und die Angebote entsprechend gestalten. Das Ziel unserer Arbeit ist, Kinder darin zu unterstützen, ihre Lebenswelt zu verstehen und selbstbestimmt, kompetent und verantwortungsvoll zu gestalten. Wenn ein paar Kinder Stricken toll finden, schauen wir, wie wir eine Strick-AG organisieren. Andere Kinder sind talentiert in Kalligrafie, so organisiere ich eine AG-Kraft, bei der die Kinder das lernen können, wie auch unsere Skater-AG mit allem, was dazugehört, wie Helm, Schutz und Skateboards. Für die fünften und sechsten Klassen haben wir beispielsweise einen Künstler engagiert, der mit ihnen Graffiti macht. Die Kinder haben direkt "MINICLUB" auf unser Baumhaus gesprüht, das das Profilbild unseres Instagram-Accounts wurde.
Welche Rolle spielen Glauben und Religion?
Ich bin selbst protestantisch aufgewachsen, habe den Jugendclub der katholischen Kirche besucht und bezeichne mich eher als Humanist. Für mich ist es daher wichtig, die Menschenrechte zu achten und die Kinder darin zu stärken, ihre Rechte (und Pflichten) wahrzunehmen, ganz gleich für welche Religion sich ein Mensch entscheidet.
Was heißt das für Deine Arbeit?
Für mich stehen das Kind und die Familie immer im Zentrum. Die Frage ist darum: Was brauche ich, Kind, um von Dir, Pädagoge, gut begleitet zu werden? Diese Fragen klären wir mit den Kindern in Morgenkreisen, die wir in den Ferien veranstalten oder wir treffen uns in unserem zauberhaften Drachen-Amphitheater, um über wichtige, uns bewegende Themen zu sprechen. Da kommt auch mal zur Sprache, was christlich sein für die Kinder heißt.
Wie gehst du mit Kindern um, die einen speziellen Unterstützungsbedarf haben?
Für sie gibt es Förderschwerpunkte: Ein Beispiel dafür ist, wie wir Kinder unterstützen können, adäquat auf eine Situation zu reagieren. Eine sehr erfolgreiche Unterstützung eines Kindes am Campus Hedwig war ein "Verhaltensvertrag", den wir mit ihm schlossen. Diesen haben wir gemeinsam mit dem Kind formuliert. Beim Viva Victoria-Fest haben wir den Preis, "Pommes essen", eingelöst. Wie sich herausstellte, war diese Aktion sehr nachhaltig für das Kind.
Das heißt, die Kinder, die zu Dir kommen wollen, sind willkommen?
Alle! Auch Kinder mit Beeinträchtigungen gehören dazu. Oft sind das kleine Dinge, die aber wichtig sind, ernst genommen zu werden.
Wie sieht Dein persönlicher Tagesablauf aus?
Ich bin vormittags in den beiden Schulen Campus Hedwig und St. Mauritius beratend tätig. Ich biete soziales Training an, berate Kinder bei Konflikten, ihre Familien in Erziehungsfragen und das Lehrpersonal bei der Vorbereitung von Gesprächen mit Familien und Fragen zu herausfordernden Kindern. Ich bin regelmäßig mit den beiden Schulleiterinnen zu diversen Themen im Austausch. Am Nachmittag biete ich mit meinen Kolleg*innen die Betreuung an.
Hast du ein Beispiel für die Begegnung mit Familien und Kindern, das Dir in der letzten Zeit nahegegangen ist?
Das oben genannte Beispiel des Kindes ist mir natürlich sehr nahegegangen. Ich freue mich über zufriedene Familien, kleine Geschenke und Briefchen von Kindern. Oder ein Kind steht an meinem Bürofenster, winkt mir zu. Ich stehe auf, gehe an die Tür und es sagt: "Ich wollte dir einfachmal nur winken, weil ich dich mag." Das ist einer der Momente, in denen man als gestandener Erzieher feuchte Augen bekommt und der beste Lohn!
Interview: Bettina Röder